Offener Brief der LAK Berlin an den regierenden Bürgermeister Müller

Sehr geehrter Bürgermeister von Berlin,
sehr geehrter Herr Müller,

mit Erstaunen mussten wir Studierendenvertreter*innen von der LandesAstenKonferenz Berlin (LAK) ihre Aussagen bei Markus Lanz am 29.7.2021 zur Kenntnis nehmen. Sie unterstellen den Studierenden, ohne Daten dafür vorzulegen, gleichgültig gegenüber dem Impfschutz zu sein. Ihre neue Strategie als Antwort auf die Situation ist eine vermeintliche Strategie, die das Leben vieler Studierender, Lehrpersonen und ihrer Angehöriger in Gefahr bringen wird.

Wir halten diese Öffnung für unsolidarisch, da sie Risiken individualisiert.

Laut den Annahmen des RKI werden ohne einen erneuten Lockdown spätestens ab November 2021 bis Anfang des Jahres 2022 die Inzidenzwerte wieder steigen, besonders in der Altersgruppe von 18 - 30 Jahren [1]. Trotzdem wurde uns Studierenden - wie zu Anfang jedes Semesters in dieser Pandemie - versprochen, dass das Semester wieder in Präsenz stattfinden wird. Das ist ein leeres Versprechen. Die Folgen solcher Zusagen konnten wir in den letzten anderthalb Jahren immer wieder beobachten: Die Lehre war nicht darauf eingestellt und Präsenzformate mussten sehr kurzfristig umgestellt werden. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass sich Onlinelehre nicht aus dem Hut schütteln lässt, sondern gut vorbereitet sein muss.

Ihre Ankündigung der nahezu vollständigen Präsenzlehre ohne digitale Alternativen [2] führt dazu, dass sich Studierende und Lehrende auf ein Präsenzsemester einstellen und dann, wenn unweigerlich zu Semesterbeginn die Notbremse gezogen wird, improvisierte Online-Alternativen angeboten werden. Darunter leiden die Qualität und Angebotsvielfalt der Lehre.

Wir haben seit Beginn der Pandemie vom Senat gefordert, dass Berlin und die Hochschulen langfristig planen und verschiedene Szenarien berücksichtigen, um auf die sich ständig ändernde Lage reagieren zu können. Diese Forderung wurde ebenso ignoriert wie unsere Forderung im Gespräch mit dem Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung vom 11. Februar 2021, eine vorausschauende Impfstrategie für Hochschulen auszuarbeiten. Erst Mitte Mai wurde diese Ausarbeitung mit Impfstart Ende Juni von den Hochschulen und dem Land Berlin kommuniziert und damit zu einem Zeitpunkt, als viele Studierenden sich schon anderweitig nach Terminen im Impfzentrum oder bei niedergelassenen Ärtz*innen umgeschaut hatten. Dass die Angebote dennoch von tausenden Studierenden angenommen wurden, zeigt wie notwendig dieses Angebot war und dass viele Studierende das Impfangebot - anders als von Ihnen unterstellt - nutzen. Ihre Äußerungen in einem bundesweiten Beitrag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass Studierende impfunwillig seien, sind vor diesem Hintergrund unerhört [3].

Mit dem aktuellen Zeitplan ist es einem Großteil der Studierenden außerdem gerade noch nicht möglich, im September den vollständigen Impfschutz zu haben. Anstatt eine Verleumdung in den Raum zu stellen, wäre es angebracht gewesen, direkt mit gewählten Studierendenvertretungen zu kommunizieren und die Bedürfnisse der gesamten Studierendenschaften in dieser Situation zu erfassen. In der gesamten Zeit der Pandemie hatten wir kein einziges Mal ein persönliches Gespräch mit Ihnen.

Auch die LAK Berlin wünscht sich den Regelbetrieb in den Hochschulen wieder, denn vielen Studierenden fällt die Decke im Onlinestudium auf den Kopf. Ein simples Abschaffen der Maßnahmen gefährdet aber uns, unsere Kommiliton*innen und das Lehrpersonal und sorgt mittelfristig nicht für ein schnelleres Ende der Pandemie. Im Gegenteil: Diese Öffnung ohne Umsichtigkeit, nachdem seit Monaten von einer Öffnung mit Augenmaß geredet wurde, führt dazu, dass viele Studierende das Angebot nicht wahrnehmen können oder unter hohen Risiken teilnehmen werden. Anstatt sich zu überlegen, wie der Hochschulbetrieb für alle Beteiligten sicher vonstattengehen kann, werden die Schutzmaßnahmen individualisiert.

Bei einer Öffnung wünschen uns daher konkrete Antworten auf die folgenden Fragen:

  • Welche Angebote gibt es für Studierende, für die eine Ansteckung ein größeres gesundheitliches Risiko bedeutet - z.B. chronisch Kranke und Studierende mit Behinderung?

  • Mit welchen Maßnahmen wird das persönliche Ausfallrisiko durch eine Quarantäne aufgrund eines positiven Tests oder aufgrund einer Erkrankung im WG-Umfeld abgemildert? Studierende sollten dabei nicht zwischen Anwesenheitspflicht und der Gefährdung anderer abwägen müssen.

  • Wie wird damit umgegangen, sollte es doch zu einem Ausbruch in einem Vorlesungssaal kommen?

  • Was passiert, wenn das Lehrpersonal sich infiziert oder sich schlichtweg nicht impfen oder testen lässt?

  • Wie sollen Studierende mit Kindern, die sich noch nicht impfen lassen können, mit der Öffnung umgehen?

 

Dazu fordern wir, dass das Land Berlin und die Hochschulen die Empfehlungen des RKI berücksichtigen und die Maßnahmen zur Öffnung der Schulen übernehmen, um ihren eigenen Maßnahmenkatalog zu erweitern:

"Der Ausbau der baulichen, strukturellen, organisatorischen und technischen Maßnahmen sollte intensiviert und bis zur Öffnung nach den Sommerferien abgeschlossen sein. Dies betrifft ganz besonders die Stärkung

o der personellen Ressourcen durch Einstellung von zusätzlichen Lehrkräften
(dies ermöglicht eine Reduktion der Klassen- bzw. Gruppengrößen, kompensiert den ggf. höheren Betreuungsbedarf bei Wechselunterricht etc.),

o der räumlichen (Messung der Luftqualität mittels CO2-Messung, Frischluftzufuhr und ggf. technische Möglichkeiten zur Luftreinigung sowie Verbesserung der hygienischen Bedingungen insgesamt),

o der digitalen Ressourcen. "[4]

 

Diese Überlegungen sollte ein Maßnahmenplan enthalten, sollte eine Öffnung dennoch forciert werden. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die versprochene komplette Öffnung zu Beginn des Semesters nicht stattfinden kann, da die Inzidenz sich weiterhin nach oben entwickeln wird.

Wir fordern außerdem, dass Sie als Regierender Bürgermeister Ihrer Verantwortung nachkommen und die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Kommiliton*innen, der Lehrenden sowie unserer Angehörigen über den Wahlkampf stellen.

 

Mit freundlichen Grüßen,
LandesAstenKonferenz Berlin

 

[1] Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland. Stand: 14. Juli 2021. Online unter:

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/27_21.pdf?__blob=publicationFile

[2] Lehre und Studium wieder in Präsenz: Eckpunkte für das Wintersemester 2021/2022 an Berliner Hochschulen vereinbart. Pressemitteilung vom 30.07.2021. Online unter: https://www.berlin.de/sen/wissenschaft/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1111437.php

[3] Sommerurlaub: Reiserückkehrer, Quarantäneregeln und Schulbeginn | Markus Lanz vom 29. Juli 2021. Online unter: https://youtu.be/g5KAPOmvqYM

[4] Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22. Stand: 22.07.2021. Online unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Vorbereitung-Herbst-Winter.pdf?__blob=publicationFile