Stellungnahme zum Gesetz zur Stärkung der Berliner Wissenschaft

Die LandesAstenKonferenz Berlin (LAK) begrüßt das Vorhaben zur Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes. Die LAK hat bereits im Sommer 2019 ein Forderungspapier der Berliner Studierendenschaften vorgelegt und erkennt die Bemühungen an, die von hochschulpolitischen Akteur:innen dargelegten Problemfelder anzugehen. Im Entwurf wird der Anspruch deutlich, die Hochschulen zu einem diskriminierungsfreieren Raum zu machen und Studierenden mehr Anerkennung zuteil werden zu lassen. Besonders in den Themenfelder demokratische Hochschule und selbstbestimmtes Studium bleibt der Ansatz deutlich hinter den Anforderungen an ein innovatives Hochschulgesetz zurück.

 

Demokratie

Der Entwurf bleibt insgesamt hinter den Erwartungen an eine rot-rot-grüne Koalition zurück. Dies wird insbesondere an der verpassten Chance, die Stimmverhältnisse hin zur Viertelparität zu ändern, deutlich (§ 46). Es bleibt bei der professoralen Stimmenmehrheit; dabei ist nicht anzunehmen, dass alle Innovation von der kleinsten Mitgliedergruppe der Hochschule ausgeht. Nur paritätische Stimmverteilung ermöglicht einen Dialog auf Augenhöhe. Dass an dieser Stelle keine Lösung gefunden wurde, ist enttäuschend. Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, andere Wege hin zu mehr Demokratie zu finden, z.B. durch die Zusammenlegung der Statusgruppen der Hochschullehrer:innen und Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, so wie es die AG Hochschulen der SPD ins Gespräch gebracht hatte. Auch die verbindliche Zusage der Koalition die Kommissionen für Lehre und Studium durch Herstellung von Einvernehmlichkeit in Studien- und Lehrangelegenheiten in § 61 zu stärken, findet sich in diesem Entwurf nicht wieder.

 

Problematisch ist des Weiteren die gesetzliche Festschreibung des Kompetenzzuwachses beim Präsidium, der an den Hochschulen bereits durch die Erprobungsklausel ermöglicht wurde. Die Präsidien erhalten nun endgültig die alleinige Personalhoheit (§ 67), welche an HU und FU nachweislich missbraucht wurde, um gewerkschaftlich aktive Beschäftigte zu kündigen oder ihre Einstellung zu verhindern. Hier ist eine parlamentarische Kontrollmöglichkeit durch den Akademischen Senat notwendig, um einen politischen Zugriff auf die personelle Zusammensetzung der Mitgliedergruppen zu vermeiden.

 

Zudem fallen den Präsidien alle nicht im Gesetz zugewiesenen Hochschulangelegenheiten zu, während sie zugleich in Streitfragen über die Zuständigkeit von Gremien und Organen richten sollen (beides § 52). Diese Kombination bietet einen Freifahrtschein zur missbräuchlichen Kompetenzaneignung, die (zumindest an der FU) bereits beobachtet werden konnte. Allein vor diesem Hintergrund ist eine Verlängerung der Amtszeiten auf sechs Jahre, wie es der Entwurf vorsieht, nicht rechtfertigbar (§ 55, 57). Anstatt jedoch einen guten Rechtsrahmen für mehr Demokratisierung zu setzen, wird Hochschulautonomie immer noch als Autonomie der Präsidien verstanden. Ein Machtzuwachs, wie er derzeit vorgesehen ist, wäre nur durch viertelparitätische Legitimation des Präsidiums begründbar (§ 62). Technisch ist anzumerken, dass die Regelung der Rechte und Pflichten des Präsidiums über mehrere Paragraphen verteilt sind und somit die Intransparenz der Hochschulpolitik erhöht wird (§ 40, § 52, § 59a, § 60, § 67).

 

Auch das Weiterbestehen der sogenannten Erprobungsklausel in Form der "Innovationsklausel" lässt noch zu viel Spielraum für Hochschulen, sich der Gesetzgebung zu entziehen (§ 7a). Es ist begrüßenswert, dass der Einflussbereich der Klausel eingeschränkt wurde. Zwar können nach dem neuen Wortlaut die Mitwirkungsrechte der Hochschulmitglieder nicht mehr eingeschränkt werden, allerdings wird die professorale Stimmenmehrheit endgültig festgeschrieben. Somit verhindert die "Innovationsklausel" eine Umverteilung der Stimmverhältnisse zugunsten einer demokratischen Egalisierung. Auch darüber hinaus können Demokratisierungsversuche mit der derzeitigen Formulierung behindert werden. Die LAK fordert daher die ersatzlose Streichung der Erprobungsklausel, wie es auch die Arbeitsgruppen der Koalition 2019 in ihren Leitlinien für die Novellierung vereinbart haben.

 

Der Deregulierung und Schwächung von demokratischer Teilhabe stehen detaillierte Ordnungsmaßnahmen gegen Studierende gegenüber (§ 16). Die vorgesehenen Ordnungsmaßnahmen manifestieren ein Repressionsinstrument, mit dem die Präsidien der Universitäten gegen ihnen unliebsame Studierende vorgehen können, was bis zum Ausschluss vom Studium führen kann. Auch die Gründe, die für das Einleiten von Ordnungsmaßnahmen angeführt werden können, lassen einen zu großen Spielraum für Willkür und gefährden eine kritische, selbstbestimmte Studierendenschaft. Während also Studierende in Regelstudienzeit ihr Präsidium möglicherweise nie durch Wahl legitimieren können, wird studentischer Protest innerhalb der Hochschulen delegitimiert.

Darüber hinaus sind am Referent*innenentwurf hinsichtlich der Hochschuldemokratie positiv zu erwähnen

  • die Wahl der Beauftragten für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung durch den Akademischen Senat (§ 28a), wobei dieses Verfahren auch auf weitere Antidiskriminierungsbeauftragte ausgeweitet werden sollte (§ 59a);
  • die Bestimmung des Vorsitzes der Kommission für Lehre und Studium aus der Gruppe der Studierenden, wobei eine Wahl durch die Studierenden ein geeigneteres Verfahren wäre (§ 61);
  • die Einrichtung von Gremienreferaten zur Unterstützung von Gremienmitgliedern, wobei eine klare Definition ihres Aufgabenbereichs noch fehlt (§ 3).

Studium und Lehre

Das in der Koalitionsvereinbarung festgehaltene Versprechen eines selbstbestimmten Studiums wurde nicht eingelöst. Zwar gibt es im Bereich Studium und Lehre einige Verbesserungen: Die Streichung der Hürden für ein Teilzeitstudium (§ 22) und die Abschaffung der Rechtsgrundlage für Zwangsberatung (§ 28) berücksichtigen die Heterogenität der Studierendenschaft und  fördern partiell ein selbstbestimmtes Studium. Dennoch bleiben repressive Instrumente nicht nur bestehen, sondern werden sogar ausgeweitet: Während der Versuch, die Wiederholungsfristen für nicht bestandene Prüfungen einzuschränken, begrüßenswert ist, wird diese rechtlich fragwürdige Praxis durch den neuen Rechtsrahmen abgesichert (§ 30). Stattdessen muss sie gänzlich untersagt werden.

 

Eine generelle Begrenzung der Anzahl an Prüfungsversuchen bleibt bestehen und sogar der grundsätzliche Prüfungsanspruch nach Exmatrikulation wird abgeschafft (§ 30). Hinzu kommt, dass künftig bei (unterstellten) Täuschungsversuchen auch bisher erbrachte Studienleistungen ihre Wertigkeit verlieren können und die Wiederholung ganzer Lehrveranstaltungen angeordnet werden kann. Gerade bei Online-Prüfungen in der Coronakrise wird in den studentischen Hochschulberatungen eine erhöhte Anzahl unberechtigter Vorwürfe beobachtet, welche nur aus Kostengründen nicht juristisch angefochten werden. Das belastet vor allem Studierende, die ihre Zeit für die Prüfungsvorbereitung aufgrund von beruflichen Verpflichtungen oder Betreuung und Pflege von Angehörigen weniger flexibel aufwenden können. Auch Studierenden mit psychischen Problemen oder chronischen Erkrankungen wird so kein Lösungsweg eröffnet, ihr Studium erfolgreich abschließen zu können. Eine Abschaffung dieser willkürlichen Begrenzungen ist eine zentrale Anforderung an ein modernes Gesetz.

 

Während durch das Teilzeitstudium die Studierbarkeit verbessert wurde, wurde jedoch die Studienlast nicht gesenkt. So wurde eine Reform der Regelstudienzeit verpasst (§ 23) , obwohl diese willkürliche Setzung an der Realität des Studiums vorbeigeht und durch bestehende finanzielle und biografische Benachteiligungen verstärkt wird. Sinnvoll wäre eine Verlängerung um ein Jahr oder eine  Aufteilung in eine Studienzeitgarantie, die sich verpflichtend an die Hochschulen richtet, sowie einer Regelstudiendauer, die sich an der realen Durchschnittsdauer von Studienabschlüssen orientiert und für das BAföG-Amt verbindlich ist.

 

Auch das für mehr studentische Selbstbestimmung notwendige Verbot von Anwesenheitspflicht bzw. -kontrollen wird nicht angegangen (§§ 22a, 31). Die Modulprüfungsdichte ist weiterhin zu hoch und stellt eine psychische Belastung für Studierende dar (§§ 30, 33). Der inhaltlichen Selbstbestimmung durch mehr freie Wahlmöglichkeiten im Studium wurde ebenso nicht Genüge getan (§ 22).

 

Diversität und Antidiskriminierung

Dass Diversität und Antidiskriminierung einen höheren Stellenwert bekommen, ist ein guter Ausgangspunkt, um die Vielfalt an den Hochschulen zu stärken. So ist die Einführung von Diversitätskonzepten sowie Beratungs- und Beschwerdestellen begrüßenswert (§ 5a). Jedoch wird die Ansiedlung der Diversitätsbeauftragten bei den Präsidien, die bereits die aktuelle Vernachlässigung der Problematik zu verantworten haben, die bisherigen Probleme verstetigen (§ 59a). Daher sind unabhängige Diversitätsbeauftragte, denen die Beratungs- und Beschwerdestellen unterstellt sind (und nicht den Präsidien), unumgänglich. Darüber hinaus wären mehrere Diversitätsbeauftragte, die in ihrer Zusammensetzung die Vielfalt der Hochschule widerspiegeln, nach wie vor wünschenswert

 

Dass die Universitäten sich ein Konzept für Antidiskriminierung und Diversität geben müssen (§ 5a), ist eine deutliche Verbesserung, da momentan Probleme mit Diskriminierung oftmals kaum Beachtung finden. Wir befürchten aber, dass diese Konzepte viele Probleme ausklammern werden. Es benötigt daher Prozesse, in denen die Betroffenen von Diskriminierung einen Rahmen bekommen, ihre Erfahrungen zu schildern und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Damit einhergehend benötigt es auch eine klare Verantwortlichkeit, wer mit der Umsetzung betraut ist und wie diese Konzepte zustande kommen.

 

Die LandesAstenKonferenz unterstützt entschieden das Vorhaben, die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes in der laufenden Legislaturperiode zu einem guten Ende zu bringen.

Unsere konkreten Änderungsvorschläge im Gesetz finden sich unter diesem Link.