Zum Wintersemester 2019/20 hat die AG Wohnen der LAK eine Broschüre veröffentlicht unter dem Titel "Gegen die zulassungsbeschränkte Stadt - ein studentischer Blick auf Wohnungsnot".
Das Thema Wohnen ist seit einigen Jahren in aller Munde. Denn alle haben etwas zu berichten – sei es von der ewigen Wohnungssuche, der letzten Mieterhöhung oder dem neuesten Ärger mit der Hausverwaltung. So viele sind mit diesen missliebigen Erfahrungen vertraut, dass längst allen klar ist, dass es sich dabei nicht um Einzelschicksale, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt.
Als Bezeichnung für dieses Problem hat sich der Begriff der Gentrifizierung durchgesetzt. Er meint eine profitorientierte Aufwertung von Stadtteilen, die eine Verdrängung einkommensschwächerer durch einkommensstärkere Haushalte zur Folge hat. Wir Studierenden haben in der bisherigen Entwicklung eine unglückliche Doppelrolle gespielt. Besonders in ihren Anfängen erblickten die Immobilienunternehmen in uns eine Chance, die Mieten zu erhöhen. Denn z.B. eine fünfköpfige Studi-WG, in der alle Beteiligten eigene, wenn auch kleine Einkommen vorweisen können, kann in vielen Fällen eine höhere Miete aufbringen, als etwa eine fünfköpfige Familie, in der nur ein oder zwei Familienmitglieder erwerbstätig sind. Und auch die Eröffnung von Bars und Cafés für das verhältnismäßig zahlungskräftige Studierendenmilieu konnte von den Eigentümer_innen unter dem Stichwort der »Kiezlage« im »Szeneviertel« als Argument für noch weitere Mieterhöhungen instrumentalisiert werden.
Dieser Zusammenhang brachte viele Menschen dazu, zu glauben, "wir Studierenden" wären die letztendlichen Nutznießer der Gentrifizierung. Die geläufige Erzählung sah vor, dass wir erst in günstige Wohnungen einziehen, später mit unseren Hochschulabschlüssen einträgliche Jobs annehmen und mit unserem vielen Geld das Preisniveau in unseren Gegenden hochtreiben würden.
Inzwischen aber zeigt sich, dass die Erhöhung der Mieten die Steigerung unserer Einkommen in den meisten Fällen überholt hat. Längst haben wir selbst mit für uns untragbaren Mieten zu kämpfen, müssen zum Teil unsere Wohnungen verlassen, weil unsere Hausverwaltungen Luxussanierungen vornehmen, die wir uns nicht leisten können, oder finden von vornherein keine Wohnungen, die zugleich unseren Bedürfnissen und unseren finanziellen Möglichkeiten entsprechen. Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder. Wirklich profitieren von Verdängung tun dagegen seit jeher immer die selben - die Eigentümer*innen der Immobilien.
Die Arbeitsgruppe Wohnen (AG Wohnen) der LandesAstenKonferenz Berlin hat sich 2017 in Reaktion auf die sich verschärfende studentische Wohnungsnot gegründet. Wir haben Notunterkünfte zum Semesterstart gefordert; dem Berliner studierendenWERK auf den Zahn gefühlt; kommerzielle Wohnheime und ihr Geschäftsmodell untersucht; Erfahrungsberichte über Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eingeholt und die Berliner Studierenden nach ihren Wohnverhältnissen und ihrer Zufriedenheit damit befragt. Im Folgenden wollen wir unsere Erkenntnisse zusammentragen und uns damit auseinandersetzen, wie Studierende als eine von vielen gesellschaftlichen Gruppen von Gentrifizierung betroffen sind.
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Im ersten Kapitel betrachten wir dazu die ökonomische Verwertbarkeit von Wohnraum sowie die politischen Entscheidungen, die der explosiven Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt Tür und Tor geöffnet haben.
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Im zweiten Kapitel setzen wir uns damit auseinander, wie es dem Berliner Senat in der Wohnungspolitik misslingt, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, und wie er in der Wissenschaftspolitik seine Aufgabe vernachlässigt, studentisches Wohnen zu fördern.
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Im dritten Kapitel werten wir die Umfrage zur Zufriedenheit der Berliner Studierenden mit ihren Wohnverhältnissen aus, die wir im Januar und Februar 2019 durchgeführt haben.
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Im vierten Kapitel lassen wir Studierende zu Wort kommen, die uns von ihren Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt berichtet haben.
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Im fünften Kapitel zeigen wir, wie Betreiber*innen von Mikroapartments Extraprofite aus der studentischen Wohnungsnot schlagen, und kontrastieren diese ausbeuterischen Wohnformen mit Modellen, die der persönlichen Selbstbestimmung Raum lassen und dem Trend zur Vereinzelung entgegenwirken.
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Und im sechsten Kapitel formulieren wir schließlich Forderungen, die mit der studentischen und allgemeinen Wohnungsnot aufräumen sollen.
Im Wissen darüber, dass sich das Agieren von uns Studierenden auf dem Wohnungsmarkt in der Vergangenheit oft zu Ungunsten anderer einkommensschwacher Gruppen ausgewirkt hat, wollen wir sicherstellen, dass wir uns in unserem Agieren in der Politik in keiner Weise gegen diese anderen Gruppen ausspielen lassen. Wenn wir Wohnraum weiterhin als Gegenstand des Konkurrenzkampfs behandeln, kommt das auf lange Sicht nur den Immobilienunternehmen, nicht aber uns Bewohner_innen der Stadt zugute. Wenn wir uns hingegen verbünden und selbstbestimmtes Wohnen für alle als das Ziel unseres gemeinsamen, sozialen und politischen Kampfes ins Auge fassen, können wir eine Stadt hervorbringen, die über Teilhabe funktioniert und keine Ausschlüsse mehr produziert.
Broschüre im pdf-Format: hier erhältlich