Koalitionsvertrag lässt viele Fragen offen - Studentische Interessen bei der Umsetzung berücksichtigen

 
Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und Linken auf Landesebene nimmt sich für die nächste Legislatur ein Potpourri an Themen für Wissenschaft- und Forschung vor, bleibt dabei aber relativ vage. Abgesehen davon, dass wichtige Themen wie die Demokratisierung der Hochschulen ganz ausgelassen wurden, bleiben zahlreiche Themenfelder zu unkonkret. Dennoch begrüßen wir, dass viele der von uns geforderten Themen es zumindest in den Koalitionsvertrag geschafft haben. Nun ist deren Umsetzung entscheidend.
 
Zulassung
Der Koalitionsvertrag verspricht eine dringend nötige Reform des Zulassungsrechts. Dabei werden allerdings die von Studierenden aufgezeigten Probleme kaum in den Blick genommen. Anstatt die rassistischen Mechanismen zu beseitigen, welche die LAK schon den Sondierungsteams als Problem benannt hat spricht der Koalitionsvertrag davon, "die Unterstützungs- und Beratungsmöglichkeiten aus [zu] bauen". Der Anspruch der Politik darf nicht sein, in Bereichen, in denen Diskriminierung stattfindet, lediglich auf (ausgebaute) Beratungsangebote zu verweisen. Ein fortschrittlicher Koalitionsvertrag sollte darauf abzielen, strukturelle und institutionelle Diskriminierung gänzlich abzubauen.
 
Was die Situation tatsächlich verbessern könnte wären konkrete Maßnahmen:
  • eine Lösung hin zu einer Direktbewerbung an den Hochschulen für alle
  • Prüfung von ausländischen Qualifikationen durch die Landesbehörden statt durch einen privaten Dienstleister
  • eine kulante Regelung, die es ermöglicht, für eine Zulassung fehlende Leistungen innerhalb eines Semesters nachzuholen 
 
Sollte das Zulassungsrecht in seiner Gesamtheit tatsächlich reformiert werden, muss die Prämisse gelten, dass alle, die studieren möchten, auch einen Studienplatz erhalten können. Der Numerus clausus gehört abgeschafft. Auch Aufnahmeprüfungen, welche Ausschlusskriterien manifestieren, wären in vielen Fällen eine Verschlechterung. Viele dieser Prüfungsformate sind für Menschen aus akademischer Erziehung oder mit entsprechender privater Nachhilfe eine geringere Hürde als für solche ohne und intensivieren somit bereits bestehende Klassenunterschiede.
 
Demokratisierung
Besonders enttäuschend ist, dass sich die Koalitionär*innen nicht auf die dringend notwendige Demokratisierung der Hochschulen einigen konnten. Nach 20 Jahren Demokratieabbau werden auch die nächsten 5 Jahre verlorene sein, was Mitbestimmung angeht. Auch wenn Department- oder Facultymodelle angedacht sind, bedeuten viele dieser Modelle eine tatsächliche Verschlechterung von Mitsprache von Studierenden. Deals werden zwischen Angestellten auf Augenhöhe beschlossen, die Studierenden werden zu Serviceempfänger*innen degradiert. Dies ist kein Mehrwert für die Demokratisierung, sondern hilft nur einzelnen Statusgruppen und befördert die Durchsetzung ohnehin privilegierter Interessen. Diese Modelle in Zusammenhang mit dem Satz: "Die Koalition modernisiert die Lehrverpflichtungen.", lässt eher Schlimmes für Studierende erahnen. Weniger Lehrangebot, vollere Kurse und mehr Fokus auf allen Themen außer der Lehre. 
 
Immerhin verspricht die Koalition, nachdem sie es schon für die BerlHG Novelle versprochen hatte, dass die Mitwirkungsrechte der Kommission für Lehre und Studium gestärkt werden sollen. Wir erwarten, dass in diesem Bereich eine schnelle Verbesserung erfolgt.
 
Soziales
Auch im Bereich der sozialen Fürsorge für Studierende zeigt sich ein durchwachsenes Bild. 
Das Thema Wohnen wird generell nur mit dem Grundsatz "Bauen Bauen Bauen" statt der dringend notwendigen Umsetzung des Volksentscheides Deutsche Wohnen Enteignen angegangen. Abgesehen davon, dass die Umsetzung eines erfolgreichen Volksentscheides in einer Demokratie Priorität haben sollte, wird damit auch dem Thema studentisches Wohnen eine Absage erteilt. Weder eine dringend notwendige Erhöhung der Studierendenwohnheimsplätze noch anderweitige Unterstützung werden benannt. Dies wäre jedoch zwingend notwendig, um die von uns vielfach aufgezeigte Lücke zwischen Bafög-Wohnsatz und realen Lebenshaltungskosten in Berlin zu schließen. 
 
Auch eine Reduktion der Kosten des Semestertickets, z.B. im Sinne eines 365-Euro-Tickets oder gar gänzlich kostenloser ÖPNV werden nicht in Erwägung gezogen. Immerhin soll der Preis des Semestertickets stabilisiert werden. Doch auch dies kann unmöglich der Anspruch an die zukünftige Politik sein und schon gar nicht an eine, die nachhaltig und/oder sozial zu sein vermag.
 
Dass die Koalition im Bund eine dringende BAföG-Reform anstoßen will, begrüßen wir. Hier darf es jedoch auf keinen Fall bei einem Lippenbekenntnis bleiben. Auch müssen - sollte dieser Anstoß nicht von Erfolg gekrönt sein - weitere Maßnahmen vonseiten des Landes folgen. Nur konkrete Hilfen werden die von der Koalition gewünschte soziale Durchlässigkeit an Hochschulen ermöglichen.
 
Antidiskriminierung
Im Bereich Antidiskriminierung sollen Diskriminierungen wie die Unsichtbarmachung von geschlechtlicher Vielfalt in den Bürokratien der Hochschulen abgeschafft werden. Das begrüßen wir zwar - wie mit Diskriminierung durch Lehrende umgegangen werden soll, beziehungsweise wie diese bei wiederholter Diskriminierung zur Rechenschaft gezogen werden können - dazu schweigt Rot-Grün-Rot sich leider aus. Auch hier reicht kein Ausruhen auf leicht umzusetzenden Minimal-Änderungen, die ohnehin längst überfällig sind. Es bedarf grundlegender Änderungen und einer kritischen Auseinandersetzung mit sowohl Hochschulgeschichte, Hierarchien innerhalb des Hochschulkontextes sowie formeller und informeller Hürden für marginalisierte Gruppen.
Wir begrüßen auch weitere Maßnahmen zur Diversifizierung an Hochschulen, wie den Ausbau von Programmen, die Einbeziehung gendersensibler Lehrinhalte und Diversifizierung der Personalstrukturen. Das Diversitykonzept des Koalitionsvertrages vermisst jedoch Themen der Antidiskriminierung, die besonders auch an Hochschulen  blinde Flecken sind: kein Eingang fand etwa der Abbau von Klassismus, ein aktiver Antirassimus und Abbau von Ableismus. Diese Themen müssen sichtbar gemacht werden und marginalisierten Gruppen muss auch auf formeller Ebene Gehör verschafft werden. Darum fordern wir, dass die Koalition die Hochschulen an die Umsetzung von hochschulinternen Diversity- oder Antidiskriminierungsbeauftragten erinnert und Hochschulen in der Stelleneinrichtung unterstützt, z. B. indem Diversity und Antidiskriminierung zentrale Anliegen in den Hochschulverträgen werden
 
 
Ausverkauf der Hochschulen/Wirtschaftlichkeit
Des Weiteren kritisieren wir die andauernde Verwirtschaftlichung der Hochschulen, die eben genau diese schon jetzt weg von staatlichen Bildungs- und Forschungseinrichtungen hin zu unternehmensartig operierenden Institutionen verformt hat. Diese anhaltende Tendenz gefährdet nicht nur die Wissenschaftsfreiheit, sondern auch die Diversität und Unabhängigkeit von Forschung und Lehre. Auch werden Studierende so lediglich zum Subjekt des späteren Arbeitsmarkts degradiert, anstatt selbstbestimmt Wissen erwerben zu können. 
Wir fordern, dass die Koalition die Unabhängigkeit der Wissenschaft und Lehre von wirtschaftlichen Interessen sicherstellt.
 
 
Nachhaltigkeit
Den Aufbau eines Climate Change Centers bewerten wir als ein ambitioniertes Projekt. Wir befürchten eine mögliche Verschiebung der Aufmerksamkeit: Statt der Förderung einer übergeordneten Struktur sollten die Hochschulen selbst in Lehre, Personal und Betrieb zur Nachhaltigkeit angehalten und unterstützt werden. Für eine nachhaltige Transformation müssen neben Mitteln in die nachhaltige und ressourcenschonende Sanierung von Gebäuden ebenso die Finanzierung von nachhaltiger Lehre wie beispielsweise studentischen Projektwerkstätten gesichert werden. Diese sind Treiber für nachhaltige Lehre an Hochschulen und nachhaltige Themen in der Stadtgesellschaft. Wir fordern außerdem von der Koalition, dass sie die Klimaschutzvereinbarungen mit den Hochschulen ernst nimmt und die Bildung von hochschulpolitischen Strukturen und Gremien zur Nachhaltigkeit unterstützt. 
 
 
-------
 
Kontakt für Rückfragen:
Gerne via Mail an info@lak-berlin.de
 
Links: